Alternativberufe für JuristInnen
von Erik Ammann, Lic. jur. (Basel)
Viele tausend Juristinnen sind derzeit auf Stellensuche. Grund genug, sich über Alternativen zu Richteramt und klassischem Anwaltsberuf Gedanken zu machen. In der Gesundheitsindustrie vollzieht sich aktuell ein Paradigmenwechsel durch die angespannte Haushaltslage der öffentlichen Hand. Viele allgemeine Krankenhäuser sind in privater Trägerschaft.
Durch die Gesundheitsreform gilt im Krankenhausbereich seit 2003 ein Abrechnungssystem, bei dem die Krankenkassen pro Diagnose einen fixen Beitrag, sogenannte Fallkosten (DRGs), übernehmen. Es stand jedoch von Beginn an in der Kritik, da es zu einer Kommerzialisierung des Gesundheitswesens führe und laut Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, "schlecht für die Patientensicherheit“ sei. 2020 wurden daher die Pflegepersonalkosten heraus- und 2021 eine gezielte Reduktion der Fallpauschalen vorgenommen.
Für die nunmehr häufig in privater Trägerschaft befindlichen Krankenhäuser bedeuten alle diese Änderungen eine hohe Notwendigkeit für Anpassungen. Diese gehen bis hin zu Umgehungsstrategien, wie bspw. Prä-Kliniken, die der Aufnahme in eine normale Klinik vorgeschaltet sind, um die ursprüngliche Einweisungsdiagnose bei Verlassen der Prä-Klinik in eine zu dem pauschalen Abrechnungsverfahren passende umdefinieren zu können.
Damit einher gehen ein entsprechender Beratungsbedarf, sprich Arbeit für Juristen. In diesem Wachstums- und Reformmarkt ergeben sich dank der demographischen Entwicklung besonders Chancen für medizinisch interessierte und betriebswirtschaftlich orientierte Juristinnen, die in Konkurrenz zu FH-Krankenhausbetriebswirten und Universitäts-Gesundheitsökonomen stehen. Und dies nicht nur kurzfristig während der Corona-Pandemie.
In den vergangenen Jahren sind Klinikverbünde entstanden, die die Versorgungsleistung für Kommunen und Kreise im Wege von Public Private Partnerships übernommen haben. Entweder erwerben dabei Investoren Kliniken komplett oder die Kommune bleibt in Teilbesitz. Gewählt wird bei den PPP-Konstruktionen häufig die Betreibermodellvariante, die besagt, dass die Kommunen oder das Land operativ weiterhin für den Krankenhausbetrieb zuständig bleiben. Gerade bei der Umwandlung vom kommunalen Eigenbetrieb in ein gemeinnütziges Unternehmen, z.B. in die Rechtsform der gGmbH oder bei der vollständigen Privatisierung, ist Rechtsrat gefragt. Kandidaten, die in der Gesundheitsbranche Fuß fassen wollen, sollten deshalb über gute Kenntnisse des Wirtschaftsverwaltungs- und Gesellschaftsrechts sowie Grundzüge des Steuerrechts für Unternehmen verfügen. Schon auf Grund des Kostendrucks ist der Zwang zu Klinikfusionen enorm. Gestaltungsmodelle mit oder ohne Grundbesitz, Asset- bzw. Share-Deal spielen dann eine Rolle. Überhaupt ergeben sich vielfältige Aufgaben als juristischer Berater im Krankenhaussektor, so z.B. müssen Rahmenverträge mit Beleg- und Fachärzten ausgehandelt und angepasst oder jährlich Poolverträge mit den beteiligten Chefärzten prolongiert werden. Bei diesen Poolverträgen übernehmen die Krankenhausärzte pauschal nach Aufwand die Betriebskosten, d.h. sie geben einen gewissen Prozentsatz von ihren Privatliquidationen für Bettenmanagement, Administration & Service an einen Pool ab. Weiterhin sollte man über arbeitsrechtliches Wissen und BAT, TVöD-Kenntnisse verfügen, da diese auf Grund der Vielzahl an Beschäftigten unabdingbar sind und auch Entwicklungen wie die umsetzungskritischen Urteile des EuGH SIMAP / Jaeger-Urteil sowie die EU-Arbeitsrichtlinie sind zu beachten. Ebenso sind Grundkenntnisse in der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) mit ihren 5 Durchführungswegen gefragt, wenn VBL-Kosten und andere Pensionsverpflichtungen bei Zusatzversorgungssystemen im Zuge einer Privatisierung übergeleitet werden. Durch die Einführung der integrierten Versorgung und von Versorgungszentren entstehen darüber hinaus weitere Vertragssysteme, die seitens des juristischen Beraters auf dem Gesundheitssektor einer Vertragsgestaltung und –betreuung bedürfen.
Der juristische Konsulent ist häufig auch in Fragen der Beschaffung (Procurement) eingebunden, wenn medizinisches Mobiliar, Verbrauchsmaterial sowie Anlagen erworben oder geleased werden. Erwartet wird deshalb vom juristischen Berater bei der Entfaltung seiner juristischen Aktivitäten Verhandlungsgeschick, da im kostensensitiven Krankenhausbetrieb der Gewinn gerade im effizienten Einkauf liegt. Hinzu kommen Verträge mit diversen Dienstleistern - soweit § 613a BGB nicht entgegensteht - z.B. mit Reinigungs-, Catering-, Entsorgungs-, Telekommunikations- und Bewachungsfirmen, Laborservice- sowie Sterilisationsbetrieben, Wäschereien, wobei diese Verträge zudem überwacht werden müssen. Außerdem ist der juristische Berater in den Abschluss von Serviceverträgen für EDV und Operationseinrichtungen oder von komplexen Facility-Management-Verträgen eingebunden. In diesem Zusammenhang müssen dann mietrechtliche Fragen bei der Vergabe von Flächen an Servicebetriebe wie Krankenhauskiosk, Friseur oder Apotheker geklärt werden. Teilweise werden Outsourcingverträge auch mit konzerneigenen Servicegesellschaften geschlossen. Dabei wird dann das Thema der umsatzsteuerlichen Organschaft relevant wobei entscheidend ist, dass der Betrieb kraft Mehrheitsbeteiligung beim Krankenhausträger verbleibt. Ferner müssen oftmals Verträge ausgeschrieben werden, beispielsweise beim Klinikneubau, so dass VOB A und EU-Vergaberichtlinie bekannt sein sollten.
Gefragt ist, kraft Natur der Sache, Verständnis für den medizinischen Bereich sowie Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Ärzten, wenn es um Center-Studienverträge mit Pharmazeuten bei klinischen Tests von Präparaten geht. Damit einhergehend werden datenschutzrechtliche Aspekte bei der Verwaltung von Patientenakten relevant. Nicht zu übersehen ist auch das Arzthaftungsrecht, falls ein Heileingriff missglückt und der Krankenhausträger belangt wird. Gefordertes sozialrechtliches Wissen im SGB sowie den Spezialgesetzen GMG, KHG, BPflV, KHEntgG, FPÄndG, SachBezV, BSSichG erwirbt man sich am Besten durch ein Praktikum bei einem Krankenhausträger, einer Krankenkasse oder einem spezialisierten Dienstleister, wie z.B. einem Abrechnungsdienst. Einige private Kliniken bieten für Berufseinsteiger spezielle Traineeprogramme an, bei denen alle Stationen wie Klinikrezeption, Notaufnahme oder Verwaltung durchlaufen werden. Gesucht werden dafür lernwillige und neugierige Kandidaten, die serviceorientiert (mit)denken und es verstehen, im Sinne der Kostenreduzierung Arbeitsabläufe zu optimieren.
Als Nachwuchsführungskraft im Krankenhaus kann man sich zudem qualifizieren durch einen berufsbegleitenden Aufbaustudiengang wie dem Executive MBA Health Care Management an der European Business School Östrich Winkel (eine Liste weiterer Public Health- Aufbaustudiengänge finden Sie hier). In der Studienstufe 1 wird man zum zertifizierten Gesundheitsökonomen ausgebildet, wobei hier grundlegende Kenntnisse aus ökonomischer und rechtlicher Sicht über den Gesundheitsmarkt vermittelt werden. In der Studienstufe 2 vertieft man dieses Wissen vor allem auf dem betriebswirtschafltichen Bereich. Gelehrt wird hier u.a. die krankenhausspezifische Kosten-/ Leistungsrechnung, Controllingmethoden im Klinikbereich sowie das Fach Krankenhausmanagement und -unternehmensführung. Neben der Lehre von Fachwissen mit Praxisbezug werden zugleich in praktischen Übungen "soft skills" vermittelt; explizit geschieht dies im Modul "Kommunikation, Verhandlung, Konfliktmanagement".
Erfolgreichen Absolventen des Executive MBA Health Care Management Programmes stehen neben Leitungsfunktionen in einem Krankenhaus auch andere Aufgaben, beispielsweise als Referent in Verbänden, bei Unternehmensberatungen, Krankenkassen oder bei auf Gesundheitsrecht spezialisierten Kanzleien offen.
Insgesamt sind in Deutschland schätzungsweise 2.000 Fachanwälte für Medizinrecht zugelassen; ein Berufsbild, das gegenüber dem des Fachanwalts für Familienrecht mit ca. 9.000 Spezialisten oder auch Fachanwalts für Arbeitsrecht mit ca. 11.000 Berufsträgern noch Chancen verspricht.
Jüngeren Semestern, die das Berufsbild des Krankenhausmanagers oder Anwaltsexperten im Gesundheitsrecht interessiert, sei geraten, sich frühzeitig um ein Praktikum bei einem Krankenhausträger, Anwalt mit Schwerpunkt Gesundheitsrecht oder Unternehmensberater zu bemühen. Während des Studiums sollten Interessenten zusätzlich, wenn möglich, an einem Seminar in klinischer Forensik teilnehmen.
Aktuelle Stellenangebote im Medizinrecht
Weitere Informationen zu Klinikkonzernen mit Traineeprogramm finden Sie bitte hier:
www.rhoen-klinikum-ag.com
www.maternus.de
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