"Virtueller Lobeer für alte Hüte"

von Georg M. Sieber

Freudig begrüßten die Wirt­schafts­redaktionen Anfang 2018 die Eröffnung der aktuellen New Yorker Messe für Handels-Innovation: „Der Quanten­sprung vom Blei­stift zum Kugel­schreiber wurde zum Geschäfts­modell!“. Und Smart-Retros ließen den Besucher staunen: Aus dem Druck­schalter war ein „Touch screen“ ge­worden, aus Glüh­birnen und Neon­röhren das „LED-System“, aus den Wach- und Aufsichtsdienstlern die „100 Cam-Monitor-Anlage“. Statt Pinsel und Schwamm gab es jetzt die „Spray Solution“. Und „Kuli“ statt Bleistift – halt, war das nicht schon vor hundert Jahren?












Sogenannte Messe­neuheiten entpuppen sich zu oft als Etiketten­schwindel, als platte Marketing­geste. Seltenes Material, un­übliche Ver­arbeitung oder Farbe, sogar un­gewohnte Nutzungen – was immer im Einzel­nen „neu“ wirken mag, wird un­gestraft und gern dem ge­neigten Publikum als Neu­heit an­ge­tragen. Die wirkt umso glaub­hafter, je phantasie­voller sie be­schrieben wird. Das erklärt, warum sehr oft nur der Name der be­haupteten Neu­heit das eigent­lich Neue ist. Neu­heits-Appeal kann natür­lich auch die Her­kunft, die Art der Her­stellung oder ein Qualitäts­merkmal ver­breiten. In München bei­spiels­weise galt ein ober­bayrischer Gin fälsch­lich als Neu­heit – neu war ledig­lich seine uner­wartete Her­kunft.

Marketing­zauberer wissen und nutzen das. Oft er­setzen sie den schein­bar biederen Be­griff „Technik“ durch die viel an­spruchs­voller klingende „Technologie“. Das stört nie­manden so sehr, dass es zum Protest käme. Zumindest ist juristisch nicht aus­gemacht, ob vor­sätzlich falsches Ver­wenden von Fach- und/ oder Fremd­wörtern einen neuen Straf­tat­be­stand er­füllt und als Irre­führung und oder Ver­braucher­täuschung ge­ahndet werden kann. Die Argu­mente der Diesel-Abgas­protago­nisten lassen aber be­fürchten, dass da doch Einiges aus der Messe- und Werbe­sprache in die technische Apolo­getik der Sünder ein­gebaut wurde.

Manche Wort­schöpfungen sind direkt dem bloßen Un­verstand zu ver­danken. Tumbe Bildungs­huber nutzen zum Bei­spiel gern das wunder­same Kunst­wort Quanten­sprung. Dieses Wort hatte ein Physik­genie des vorigen Jahr­hun­derts in die Welt ge­setzt, um den Wechsel eines Neurons von dem einen zu einem be­nach­barten Quant zu be­schreiben. Es handelte sich um eine extrem geringe, kaum mess­bare Ent­fernung und keines­wegs um eine staunens­werte Distanz oder gar einen olympia­ver­dächtigen Höhen­unter­schied, wie viele Leute selber glauben und glauben machen wollen.

Ähn­lich erging es dem be­liebten Ge­schäfts­modell. Modell nennt man die Ver­kleinerung einer ziem­lich klobigen, un­hand­lichen Form, des modus nämlich. Die Wort­be­deutung „Modells“ ver­sackte irgend­wann im Wörter­sumpf und die Herren Grund­besitzer be­nutzten das Wort schon bald darauf für das Bau­muster von Ge­treide­mühlen. 150 Jahre später sprach man schon von Geschäfts­modell, wenn eine ver­dächtige Methode der Geld­ver­mehrung dis­ku­tiert wurde. Auch in der Nach­kriegs­wirt­schaft des 20. Jahr­hunderts gingen Börsen­zocker und Finanz­makler dazu über, einen Weg zu leistungs­freien Ge­winnen samt zu­gehöriger Steuer­tricks als Ge­schäfts­modell zu preisen. Populär wurde das Wort end­lich durch die Be­trüger­eien des Bernie Corn­feld und seine Inter­national Oversea Services (IOS), die sogar von be­deutenden, höchst­rangigen Politikern (Bonn!) mit­ge­tragen und -ver­breitet wurden. Das jüngste Geschäfts­modell dieser Art wartet der­zeit übrigens gerade vor euro­päischen Richter­tischen: Inter­nationale Modell­liebhaber hatten vor knapp 15 Jahren ent­deckt, wie dem (nicht nur dem ge­strengen deutschen) Fiskus nach cum/ex-Geschäften generöse Rück­zahlungs­millionen zu ent­locken sind.

Da nun weder der Quanten­sprung noch das Geschäfts-modell zu einem Messe­besuch und aus­gerechnet in New York motivieren kann, bleibt doch wenigstens die Innovation, die vor­gibt, sie werde wie eine Vitamin-bombe das Kreative im Werk­tätigen buch­stäb­lich explo­dieren lassen. Wie inno­vativ ist d a s denn?

Die Inno­vation ist nicht wirk­lich das, was sie zu sein vor­gibt. Sie ist ja keines­wegs das an sich Neue, sondern be­zeichnet allein den Vor­gang, wenn einem noch Un­wissenden ein­ge­trichtert wird, was für diesen und alle ver­gleich­baren Wissens­kreise bis dahin wirk­lich un­bekannt war und daher noch neu ist. „Inno­vation“ kann und darf man es also nennen, wenn jemand auf­ge­klärt, unter­richtet oder be­lehrt wird. Das setzt jeden­falls ein Lehrer-Schüler-Ver­hältnis vo­raus. Frei Carl Valentin: Nicht für den Lehrenden, sondern nur für den Lernenden ist die Neuig­keit neu. Danach kennt er sie ja schon.

Die zu­treffen­de Wort­be­deutung der „Neu­heit“ kam im Laufe der Zeit manchen Innovatoren wohl ab­handen. Sie hätte ja nur jedes eine Neu­heit nennen dürfen, was es bis dahin sicher noch nicht gab. Die Inno­vationsmesse jedoch hatte ledig­lich Neu­igkeiten zu bieten.






Da standen die Inno­vatoren auf ver­lorenem Posten. Viel­leicht hatte ihnen noch nie­mand so richtig den Unter­schied er­klärt: a) Neu­heit versus b) Neuig­keit.

Das Alte Testament fand den Unter­schied wichtig genug und er­klärte unter Prediger Kapitel 1. Vers 9. ganz ein­deutig, es gebe nichts Neues unter der Sonne. Gemeint war und ist dort ganz ein­deutig die Neu­heit, das Neue an sich. Es wird bei Weiter­gabe an einen Dritten für diesen nur zur Neuig­keit.

Unterm Strich wurde hier eine Neuig­keiten-Messe als Inno­vations-Messe kostü­miert. Trotz Ge­schwurbel und Fehl­informationen nahmen zahl­reiche Adressaten teil und legten be­reit­willig für Übersee­flüge und Über­nachtungen, für Tickets und Pros­pekte, für Restaurant­besuche und events ein drei­zehntes Monats­gehalt auf die Theke. Für wen sich der ganze Auf­wand ge­lohnt hat, blieb zwar un­bekannt. Der Riesen­rummel wird aber un­gezählte An­bahnungen, Kon­takte und Initi­ativen generieren. Das könnte wohl wieder Leben in müde ge­rittenen Börsen­kurse bringen.

Wer dem Gerede selbst­er­nannter Innovations­ex­perten nichts ab­zu­gewinnen weiß, hat den­noch nichts zu be­reuen. Es ist ja keine De­mütigung, von Trink­geld­empfängern über den Tisch ge­zogen zu werden, wie man in Oscar Wilde-Kreisen zu sagen pflegte. Ganz be­stimmt ge­hört aber der Konferenz­tisch einer Innovations­messe zu den interes­santes­ten Möbel­stücken: er wurde so oft Zeuge von Inno­vationen, heimste dafür fleißig goldenen Lor­beer ein und muss doch wohl in alle Ewig­keit die immer gleichen alten Hüten präsen­tieren.


 









Unser Autor

Ge­org M. Sie­­­ber, Jahr­­­­­gang 1935, ist Di­­­­­plom­­­psy­­­­cho­­­­­­lo­­­ge in Mün­­­­­chen. 1964 grün­­­­­de­­t­e er sein In­­­s­­ti­­­­­tut für An­­­­­­ge­­­­­­wand­­­­­te Psy­­­­cho­­­­­­lo­­­­gie, die In­­­­­te­l­­l­i­­­­­genz Sys­­­­tem Tran­s­­­­­­fer GmbH (11 Nie­­­der­­­­­las­s­­­un­­g­­en). Sein per­­­­­­sön­­­­­­li­ch­­es In­­­­­te­r­­­­­es­­­sen­­­­­­ge­­­­­biet sind Schrif­­­­t­­en his­­­­­­to­­­r­­i­sch­­­­er Vor­­­­­­läu­­f­­­er der heu­­­­t­­i­­­gen Psy­­­­­cho­­­­­­lo­­­­­gie, de Fe­­­­de­­r­­­i­­co II., Ma­­­chi­a­­­­vel­­li, Pa­­­l­la­­d­i­o, Í­­ni­­go Ló­­pez de Lo­­­yo­­­la u.a.

Für den fach­­­­­li­ch­­­en Aus­­­­­tausch steht er ger­­­ne zur Ver­­­­­fü­­g­­­ung: 089 / 16 88 011 oder per e­Mail:

Georg.Sieber@IST-Muenchen.de

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