Wenn ein Spaßvogel über Bewerbungen entscheidet
Beispiel: Er sagt, der Arbeitgeber suche doch gewiss den Richtigen für sein Unternehmen, die „fähigste Person“ also. Damit will er sagen: „Ich kenne Ihre Sorgen, weiß was Sie brauchen. Vertrauen Sie mir!“ Er räumt ein: Aussehen, Alter, Geschlecht und Kleidung spielten immer eine Rolle - „wenn auch unbewusst.“ Man könne aber auch nicht alles über den Bewerber aus dem Lebenslauf „herauslesen.“ Nein, er kennt, ganz Wissenschaftler, wirklich seine Grenzen. Deswegen lasse er künstliche Intelligenz (KI) für sich arbeiten, beruhigt er. Mit der könne er „die Persönlichkeit und die Eignung eines Bewerbers besser einschätzen“. KI mit Algorithmen kommt natürlich besser an als die Glaskugel von vorgestern
Der Spaßvogel hat sich als „promovierter Psychologe“ vorgestellt. Das macht Eindruck. Der Nachteil: So präsentiert sich kein Mann vom Fach. So redet allenfalls ein blasser Verkaufsschwätzer ohne Hintergrund. Der hier redet vom „Arbeitgeber“ und vom „Unternehmen“ – obschon man gleich weiß, dass er nur einen Betrieb und dessen Leiter gemeint haben kann. Wenn er doch wenigstens „Chef“ statt „Arbeitgeber“ gesagt hätte! Genauso gut hätte er Vorstandsmitglied, Geschäftsführer, Bereichs- oder Ressortleiter oder Personalleiter sagen können. Nein, er sagt ganz hölzern „Arbeitgeber“ – wie ein Jura-Student oder wie ein angelernter Gewerkschafter nach der ersten Schulung.
Man muss keine große Feldforschung bemühen, um eine typische „Personalbeschaffung“ kennen zu lernen. Wie man hört und liest, reagieren die meisten „Jobsucher“ auf eine Annonce, schicken ihre „Bewerbung“ mit Lebenslauf an die angegebene Adresse und werden günstigen Falls zu einem Vorstellungstermin eingeladen. Dort stellt der Spaßvogel des Betriebs mit oder ohne overhead-Folien die Branche, den Betrieb und dessen Leistungsspektrum vor. Nach ein paar Fragen zu den Motiven des Bewerbers (evtl. „Gehaltswünsche“) hat der die Prozedur überstanden. Danach beginnt eine Wartezeit von Tagen oder Wochen bis zu einer Zu- oder Absage. Ein durchschnittlicher Betrieb bringt es auf vier bis fünf Bewerbungstermine im Jahr.
Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) erklärt, was dabei jeweils zu beachten ist. In Deutschland gelten die deutschen Gesetze. Wer das (noch) nicht weiß, riskiert ein bitteres Verlustgeschäft. Jeder unzufriedene Bewerber, aber auch der auftraggebende Betrieb selber könnte den pseudoprofessionellen Auswahlhelfer zur Kasse bitten. Für die rechtlich unterschiedlichen Aspekte stehen sogar unterschiedliche Rechtswege offen.
Damit würde sich natürlich das bequeme Ritual der Personalauswahl erübrigen. Da ist dem Bewerber nur zu raten, er solle vor allem stets aufmerksam zuhören, hin und wieder zustimmend zu nicken und sich zum Abschied überschwänglich für die Bewerbungschance danken. Wenn das Arbeitsangebot übrigens ernst zu nehmen wäre, würde er die bis heute erfolgreichsten Methoden der Personalauswahl kennenlernen: die Probearbeit, eine Probezeit nicht unter 6 Wochen und ein paar gemein-same Mahlzeiten mit seinem Chef. Ernster (und zuverlässiger) sind nur Messverfahren, deren Anwendung allerdings eine solide Kenntnis der künftig zu leistenden Arbeit voraussetzt.
Unser Autor
Georg M. Sieber, Jahrgang 1935, ist Diplompsychologe in München. 1964 gründete er sein Institut für Angewandte Psychologie, die Intelligenz System Transfer GmbH (11 Niederlassungen). Sein persönliches Interessengebiet sind Schriften historischer Vorläufer der heutigen Psychologie, de Federico II., Machiavelli, Palladio, Ínigo López de Loyola u.a.
Für den fachlichen Austausch steht er gerne zur Verfügung: 089 / 16 88 011 oder per eMail:
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